Das Licht im Haindl-Tarot
Hermann Haindl hat sich während seines Lebens über den weltweiten Erfolg seines Tarots freuen können. Kein Wunder, denn seine Karten sind künstlerisch, sehr originell und erneuernd. Das ist schon außergewöhnlich, weil die meisten neuen Tarot-Spiele nur kleine Veränderungen der Karten zeigen. Es war Hermann Haindl sehr wichtig, sein Gedankengut in der Symbolsprache des Tarots auf der Welt zu verbreiten. Es gelang ihm auf wundersame Weise mit oft archaischen Bildern erneuernde Ideen darzustellen. So macht er den Namen des Zentrums „Zentrum für altes und neues Wissen und Handeln“‚ überzeugend wahr.
Beim Betrachten der Haindl-Karten habe ich mich oft gefragt, wie es Haindl gelang, in seinen Bildern diese magische Atmosphäre zu erzeugen. Als Maler und Bühnenbildner verfügt er über die besondere Fähigkeit, Personen und Situationen so zu inszenieren und zu beleuchten, dass sie eine deutliche Botschaft aussenden. Es ist faszinierend, wie spürbar die Verinnerlichung beim Anschauen der Bilder ist. Die mystischen, archaischen Szenen führen uns in einem Raum zwischen den Welten, zu einer anderen, spirituellen Wirklichkeit. In diesem Gebiet befinden sich die Botschaften des Tarots, die durch die Gestaltung und Symbolik seiner Bilder leichter zugänglich werden. Der Tarot will uns daran erinnern, dass wir unseren physischen und geistigen Anteil miteinander verbinden müssen. Die subtile Wirkung der geheimnisvollen Lichtstimmung auf den Karten des Haindl-Tarot ist dabei sehr hilfreich. Die Art, mir der das Licht über die Personen und Landschaften streicht, regt Fantasie und Geist an.
Die wichtige Rolle des Lichtes auf den Karten unterstützt das gnostische Gedankengut, das den Tarot stark beeinflusst hat. Die Gnosis bedeutet Erkenntnis, Einsicht in die übersinnlichen Welten. Sie besagt, dass es eine Lichtwelt gab, die rein und heiter war. Eine Spaltung verursachte, dass das Licht in der Dunkelheit der Materie eingefangen wurde. Das Streben der Gnostiker war es, das Licht wieder freizusetzen, sodass es zu Gott zurückkehren kann. Das Licht stieg zu den Welten von Feuer, Luft, Wasser und Erde hinab und daraus wurde der Kosmos geboren. Ein göttlicher Funke stieg auch in den Menschen hinab. Im Tarot finden wir die gleiche Struktur wieder.
Die Kleinen Arkana zeigen die unterschiedlichen Aspekte des sich manifestierenden Kosmos in uns, die sich in den vier Elementen ausdrücken. In den Großen Arkana kann man den Prozess „des Absteigens des Lichts“ verfolgen. Sie zeigen uns die Geschichte der Seele, die sich mit der Welt auseinandersetzt, Bewusstsein entwickelt und schließlich zur mystischen Erleuchtung gelangt. Der Mensch ist ein physischer Teil des Kosmos, wegen seines Körpers und den vier wirksamen Elementen. Wir sind zweifaltig, sterblich unsere Körper, unsterblich als wahrhafte Menschen. Jedes Bild auf den Karten der Großen Arkana erinnert uns an diese Einheit und wie wichtig es ist, diese beiden Teile zu verbinden.
Hermann Haindl hat uns erzählt, dass er seine Bilder meditativ malte. Sorgfältig zeigt er, dass das Universum aus Polaritäten aufgebaut ist. Die archaisch betonten Hintergründe der Karten vermitteln ein Gefühl von unserer ursprünglichen Verbundenheit mit der Erde. Sie zeigen Haindls Kontakt zur fernen Vergangenheit. Doch das Spiel mit dem Licht akzentuiert noch eine wichtige Aussage seines Tarots. Haindl benutzt es als eine Möglichkeit mit den traditionellen Annahmen zu brechen. Schauen wir uns als Beispiel die Karten des Magiers, der Hohepriesterin und der Regentin an.
Der Magier
Licht und Bewusstsein, die kreative Kraft des Intellekts, wird dem Magier zugeordnet. Ganz oben links auf der Karte ist der Himmel hell und die Sonne ist zu sehen. Rechts ist es dunkler und es scheint der Mond. Traditionell wird die linke Seite als Nacht und weiblich, rechts als der Tag und das Licht, als männlich, betrachtet. Haindl verwechselt diese Annahme absichtlich. Das dunkle Gesicht des Magiers trennt die Sonne vom Mond, den Tag von der Nacht. Wenn der Magier seine Macht missbraucht, wird er zu einem dunklen Magier. Dann verursacht er eine Scheinpolarität, die wegen der Ablösung der Natur zugunsten des Verstandes entstanden ist und die überwunden werden muss. Dieser Tausch bedeutet, dass beide Qualitäten sowohl in Frauen als auch in Männern anwesend sind. Auf diese Weise stellt Haindl die alte, beschränkte Sicht in Frage und bringt uns diese Spaltung ins Bewusstsein.
Die Kristalle symbolisieren sein klares Denken, auch sie befinden sich auf der der linken, weiblichen Seite. Auf der Karte des Magiers sind Stab und Kelch, Schwert und Stein vereinigt als Zeichen für die natürliche Verbindung zwischen Mann und Frau. Das Feuer, der göttliche Lichtfunke, befruchtet die Potenz des Weiblichen, das Wasser. Das Schwert, der Geist, durchdringt den Stein, die Materie. Sie empfängt und spiegelt das männliche Handeln. Auf diese Weise geht Haindl einen Schritt weiter als das traditionelle Bild des Magiers. Auch hier bringt Haindl eine Neuheit ins Tarot, er visualisiert, wie das positive Resultat des Prozesses eines Archetyps erreicht werden kann. Es wirkt, wie ein Hinweis, der zur Harmonie und Verbindung zwischen den Polaritäten führen kann.
Die Hohepriesterin
Die Karte der Hohepriesterin ist hell beleuchtet, obwohl sie zur Nacht, zu Wasser und Mond gehört. Sie vertritt die Symbolik der Schöpfungsgeschichte. Sie erscheint als Vertreterin der göttlichen Natur, das Licht auf der Karte ist das Urlicht. Es leuchtete am Anfang der Schöpfung und symbolisiert, wie sie das Leben empfängt und mit Weisheit gefüllt wird. Eine Lichtkugel schwebt vor ihrem Körper – sie erinnert sowohl an einen schwangeren Bauch als auch an den Vollmond. Es geht hier um spirituelle Fruchtbarkeit. Licht und Wasser durchfluten das Bild, es entstehen Dunst und Blasen. Luft und Wasser mischen sich, eine Entwicklung, die die Qualität beider Elemente erhöht. Rechts unten ist es dunkel – ein Symbol der Gefahr unser Ichgefühl zu verlieren, weil die Hohepriesterin sich als Teil von allem fühlt. Licht und Dunkel ermöglichen entgegengesetzte Erfahrungen und zeigen, beide als gleich wichtig zu erkennen. Die ungewöhnlichen Farben und das Licht unterstreichen die Annäherung der Polaritäten. Wenn wir uns liebevoll mit dem geistigen Teil in uns verbinden, haben wir einen leichteren Zugang zu unserer Intuition. Unsere Intuition schafft Geschwindigkeit, unsere Intention gibt uns Richtung. Die Hohepriesterin, das Wasser, spiegelt das Handeln des Magiers. Sie zeigt ihm, dank ihrer Intuition und Empfänglichkeit, den Sinn seiner Handlungen.
Die Regentin
Ein Beispiel dafür, wie Personen von innen heraus strahlen können, zeigt das Licht um den Körper der Regentin. Es ist ein Zeichen ihrer Lebenskraft, ihrer schöpferischen Qualität und ihres Denkvermögens. Das erinnert uns daran, dass das gleiche Licht auch in uns allen strahlt. Sie steht unter einem Dreieck, das Licht wie Sonnenstrahlen über ihr aussendet. In der Mitte befindet sich ein Auge, Gottes Auge, das uns anschaut und das uns nach innen zieht. Die Regentin steht auf der Mondsichel, wie Venus auf ihrer Muschel, auf dem Wasser. Mond und Wasser sind Symbole der weiblichen Kräfte, die ihre Basis sind. Die Hintergrundfarbe der Karte ist irdisch. Sie ist als reife Frau, als die Venus, abgebildet. Sie erdet die Lebenskräfte der Jungfrau, der Hohepriesterin. Durch die geöffnete Tür strahlt das gleiche kosmisches Licht, das über der Hohepriesterin strahlt. Es bereichert ihren Geist als ihre schöpferische Kraft. Sie manifestiert das Licht auf Erden. Die Blasen, die die Regentin umringen, symbolisieren die Begegnung von Wasser und Luft, Gefühl und Intellekt, die sich unter dem Einfluss der Erde verbinden. Sie ersetzen die Yods, die Gottesfunken der Gnade, die auf dem Waite-Smith Tarot zu sehen sind. Interessant ist, dass die Blasen die Arbeit der Erde sind, denn das Göttliche manifestiert sich in uns und in der Erde. Ein Beispiel wie Haindl das uralte Wissen in seinen Tarot in ein neues Licht stellt!
Literatur: Der Haindl Tarot, Rachel Pollack